Interview mit Meike Kenn

Die besten Dinge passieren meistens, wenn man sie nicht erwartet. Das gilt fürs Verlieben genauso wie für die Bilder von Meike Kenn. Die Fotografin liebt es, genau diese ungeplanten Momente bei einem Shooting festzuhalten. Das Ergebnis sind authentische Bilder mit einer gewissen Leichtigkeit, in denen der individuelle Charakter der Portraitierten durchscheint. 

 
© Meike Kenn

© Meike Kenn

 


Nach ihrer Ausbildung zur Fotografin am Berliner Lette Verein setzte die gebürtige Remscheiderin später noch eine Meisterklasse an der Ostkreuzschule für Fotografie drauf. Meikes Bilder erschienen unter anderem schon in Monopol, Vice, Brigitte oder auch im Green Style Magazin Fogs. Ihr nächste Projekt? Das gesamte Ensemble der Volksbühne zu fotografieren. Seit 2017 ist Meike Professional Member des BFF „Berufsverband Freie Fotografen und Filmgestalter“, der gerade sein 50-jähriges Jubiläum mit den vier Ausstellungen „Your Signature – das bleibt“, „Ikonen“ sowie „Thomas Billhardt“ und „Volker Hinz“ feiert.

Nach Stuttgart und Berlin sind die Ausstellungen zum Schluss nun vom 21. bis zum 29. September im Oberhafen Quartier, Halle 3b, in der Stockmeyerstraße 41 in Hamburg zu sehen.

Anlässlich dieser Ausstellungen habe ich mich mit Meike in den Räumen von X Lane by NATULIS GROUP AG in Berlin-Kreuzberg getroffen und mit ihr über Spontaneität beim Fotografieren, warum Langeweile manchmal notwendig ist und wie es sich anfühlt als Mann gestylt zu werden gesprochen.


Kannst du mir etwas zu deinem Bild „Clara“ hier in der „Your Signature – das bleibt“ Ausstellung erzählen?

Das Bild ist 2013 oder 2014 entstanden und war ganz anders geplant. Ich wollte eigentlich ein Model fotografieren, das war eine freie Geschichte, der Auftakt zu einer Serie, die ich mit Frauen gemacht habe. Und an dem Morgen hat mir das Model abgesagt, dann die Visagistin. Ich stand dann da mit meiner Assistentin und jeder Menge Licht. Und dann habe ich gesagt: „Clara, dann musst du das jetzt machen.“ (lacht). Und interessanter Weise ist das ein Bild geworden, das nach wie vor eine unheimliche Kraft hat und jeder, der es sieht, daran hängenbleibt und fragt „Wie ist das entstanden? Das ist ja toll“. Es ist tatsächlich eines meiner zentralen Werke geworden, das so eine bleibende Kraft hat und auch für mich als Fotografin steht, weil es einfach zeitlos ist und da viel drinsteht, von dem wie ich Frauen betrachte, in ihrem Selbstverständnis und in ihrer Verletzlichkeit und ihrem Selbstbewusstsein und in ihrer Schönheit.

 
“Clara” | © Meike Kenn

“Clara” | © Meike Kenn

 


Ich habe das Gefühl, dass Spontaneität und auch Humor generell wichtig sind in deiner Fotografie.

Das stimmt. Ich suche tatsächlich immer diesen Moment dazwischen. Ich fotografiere ja auch sehr viel Schauspieler oder auch Künstler. Jetzt arbeite ich gerade an einem Buchprojekt, wo wir Künstler in ihren Ateliers besuchen. Und da finde ich es immer sehr spannend, was passiert, wenn ich eigentlich die Kamera weglege, wenn es diese Pause gibt. Die nutze ich dann aus und fotografiere genau das. Tatsächlich sind das häufig die stärksten Bilder, aus meiner Perspektive, wenn etwas Ungeplantes passiert, das eine andere Dichte hat und nochmal etwas anderes über die Person erzählt, als wenn sie sich hinsetzt und kontrolliert.

Genau wie beim Interview, wenn man zum Schluss sagt, „okay, das war’s“…

Genau und dann plaudert man nochmal los (lacht). Ja stimmt.


Wie bist du zur Fotografie gekommen und was hat dich daran am meisten fasziniert?

Ich glaube, das hat tatsächlich ganz ganz früh angefangen, weil ich schon sehr früh eine Kamera in der Hand hatte. Was ich schon immer sehr spannend fand war, dass ich die Gewalt über den Ausschnitt hatte. Also wenn ich Leute zum Beispiel doof fand, konnte ich die abschneiden, das fand ich ganz lustig. Ich wollte dann eigentlich Journalistin werden, aber dann hat es sich für mich doch anders entwickelt, weil ich bei einem Fotografen damals noch in Köln ein Praktikum machen konnte, das ging dann in eine Assistenz über.

In der Schulzeit?

Das war schon danach. Ich hatte schon angefangen zu studieren, in Richtung Journalismus und habe da gemerkt, dass ich doch mehr Lust auf das Visuelle habe und da ja trotzdem Geschichten erzählen kann. So bin ich dann zur Fotografie gekommen. Ich bin dann von Köln nach Berlin und habe hier am Lette Verein gleich einen Platz bekommen. Und da gab es dann mehr Klarheit. Da war ich dann plötzlich Fotografin (lacht).

Hattest du von Anfang an eine bestimmte Richtung? Waren Schauspieler und Künstler schon immer Motive, die dich fasziniert haben?

Ich habe auf jeden Fall schon immer Menschen fotografiert, ganz klar. Ich war noch nie an Still Life und Architektur interessiert. Ich finde es wahnsinnig toll, mir das anzuschauen, aber ich kann das nicht. Ich bin dafür zu ungeduldig und ich arbeite auch nicht so gern ganz allein. Die Portraitarbeit ist daher schon immer mein zentrales Thema, ich mache aber auch Mode. Etwas, das sich schön entwickelt hat, ist eine Arbeit mit nachhaltig arbeitenden Labels.

 
Schauspielerin Maike Jüttendonk | © Meike Kenn

Schauspielerin Maike Jüttendonk | © Meike Kenn

 



Ah cool, mit welchen?

ThokkThokk zum Beispiel, Treches, Loveco oder Jan ‘n June.

Hast du eine bestimmte Message, die du mit deinen Bildern transportieren möchtest?

Ich suche schon nach Möglichkeiten eine Geschichte auf meine Art und Weise zu erzählen, mit meiner Sicht auf die Dinge. Da lande ich auch immer wieder beim Thema Gender.

Wie stellst du die Menschen am liebsten dar? 

Das ist tatsächlich abhängig von der Person, die ich fotografiere, die bringt ja vor allem erstmal ihre ganze Persönlichkeit mit. Ich glaube, ich kann mich darauf sehr, sehr schnell einstellen und rauskriegen, wer das ist und dann ist das ein Dialog. Ich versuche dann wie gesagt, diese kleinen, feinen Momente zu finden, aber ich gehe auch mit, ich passe mich der Situation auch an und Kathi Angerer, die ja eine wahnsinnig tolle Theaterschauspielerin ist, fotografiere ich schon anders als Manfred Peckl, einen Performance-Künstler, der sich dann selbst ziemlich abgedreht inszeniert. 



Also soll jeder in seiner Persönlichkeit dargestellt werden?

Das versuche ich, ja. Ich habe meine Handschrift sicherlich, aber es ist immer ein Zusammenspiel. Ich habe nicht das ultimative Licht, mit dem ich nur fotografiere. Ich bin da flexibel und möchte auch diese Freiheit für mich selbst behalten.

 
Schauspielerin Artemis Chalkidou | © Meike Kenn

Schauspielerin Artemis Chalkidou | © Meike Kenn

 



Ist es dir bei dem Thema Gender, das du angesprochen hast, besonders wichtig die Frauen stark dazustellen, oder wie ist da dein Ansatz?

Interessanter Weise hat es sich so entwickelt, dass ich mehr Frauen fotografiere. Ich kann das jetzt gar nicht so runterbrechen, dass ich sie stark fotografieren möchte. Wir sind ja ganz viel, und es ist schön, dieses ganze Spektrum zu zeigen und es auch sein zu lassen. Es geht auch da wieder um die individuelle Persönlichkeit. Bei mir geht es auch oft über eine konzeptionelle Ebene. 

Vor einem Jahr habe ich mich selber als Mann in verschiedene Charaktere schminken lassen, von einer unglaublich tollen Maskenbildnerin, Miriam Martino. Mir wurden einzelne Barthaare aufgeklebt und für jede Figur saß ich locker acht Stunden in der Maske. Das Ganze sollte ein Gedankenexperiment sein. Ich habe das dann als Stop-Motion-Film gezeigt, so sieht man die Verwandlung und am Ende die Figur. Das war total interessant,  lustig und schräg, plötzlich ein Typ zu sein und auch zu merken, dass ich mich ganz anders bewege. Mit solchen Sachen beschäftige ich mich manchmal, was bedeutet es eigentlich dieses Mann/Frau sein? Jetzt fotografiere ich gerade nackte Männer und am Ende setze ich mich dann immer mit den Klamotten des Typen mit ins Bild. 

 
Meike als Hipster im Verwandlungsprojekt | © Meike Kenn

Meike als Hipster im Verwandlungsprojekt | © Meike Kenn

 

Witzig, das erinnert mich auch gleich an die Folge von Sex and the City, in der Charlotte als Mann gestylt wird und sich dann auch gleich selbstbewusster fühlt.

Ja, ich hatte auch eigentlich vor, rauszugehen und zu schauen, wie die Umwelt reagiert, weil man es wirklich auf den ersten Blick nicht sehen konnte, dass ich verkleidet war. Vielleicht setze ich dieses Experiment irgendwann mal fort. 



Wo nimmst du sonst deine Inspirationen für Projekte her?

Von Fotos von Kollegen, aber auch aus der Malerei. Ich finde Herlinde Koelbl ganz toll, die hängt auch hier, sie macht oft so Langzeitprojekte. Esther Haase hängt auch hier, die finde ich auch ganz großartig. Die Frauen in der Fotografiesind nach wie vor unterrepräsentiert, deshalb schaue ich da immer besonders hin. 

Ich bin inspiriert von Menschen, die Geschichten erzählen können. Auch wie gerade hier vor Ort Volker Hinz und Thomas Billhardt, die aus ihrem Leben erzählen und sich dann die Bälle zuwerfen. Die sind so viel um die Welt gekommen und haben so einen Humor, das finde ich schon ziemlich beeindruckend. 



Hast du einen Trick, wenn du dich mal unmotiviert fühlst?

Also mittlerweile weiß ich, wenn ich mal so richtig unmotiviert bin, dass ich mich dann einfach einen Moment lang in Ruhe lassen muss. So entsteht schnell eine Langeweile, aus der ich dann automatisch einen Impuls kriege, etwas zu machen. 


Welchen Rat würdest du deinem jüngeren Selbst geben?

Ich war früher voller Zweifel und unsicher… Ich bin sehr geschwommen und wusste nicht so richtig, soll ich jetzt Portraits machen oder Beauty oder Mode. Ich habe dann irgendwie alles gemacht und wollte mich breit aufstellen, aber das ist natürlich gar nicht gut. Dann habe ich wieder versucht, nur das eine zu bedienen. Ich habe mich sehr verzettelt eine ganze Weile, und war auch nicht gut vernetzt. Heute würde ich sagen, es ist okay, wenn man sich ausprobiert und schwimmt – das gehört auch dazu – aber dass es auch ganz wichtig ist, sich mehr rauszutrauen, sich Feedback zu holen und zu vernetzen.



 
Meike Kenn | © Instagram Meike Kenn

Meike Kenn | © Instagram Meike Kenn

 

Was würdest du gern noch machen als Fotografin?

Ich würde gern noch viel mehr reisen und in dem Zusammenhang mehr dokumentarisch arbeiten und Portraits von Leuten machen. Ich glaube, bei mir würde es nie so ganz journalistisch werden, dafür bin ich nicht distanzlos genug. Ich kann das nicht so gut, ganz nah rangehen und die Leute dann abfotografieren. Aber wenn man mit den Leuten ins Gespräch kommt, geht das schon gut. Ansonsten, noch mehr Ausstellungen, noch mehr freie Arbeiten, Bücher. 


Was wünscht du dir, was die Leute, die deine Bilder sehen dabei fühlen oder denken?

Wenn man zwischendurch lacht oder berührt ist, dann ist das toll, und man vielleicht die Person, die da abgebildet ist, auch ein bisschen spüren kann. Wenn es überhaupt irgendeine Emotion auslöst, ist das schön.

Mehr von Meike Kenn gibt es auf www.meikekenn.com und bei Instagram.